Wir sind gelandet. Das Wetter meint es gut mit uns. Beim Abflug in Berlin strömte der Regen vom Himmel herab, während wir beim Landeanflug in London einen mehr oder weniger freien Blick auf die Stadt haben. Im Flugzeug habe ich sie noch nicht, die Nervosität, die sich aber dann einstellt, als uns Alex vom Organisations-Team direkt bei der Ankunft in Empfang nimmt. Ich bekomme ein großes Schild mit „Torchbearer“ – also „Fackelträger“ – um den Hals gehängt. Wie ein Magnet zieht das Schild die Blicke der Menschen auf sich, als wir zu unserem Shuttle laufen. Später erzählt uns der Fahrer, dass die Fackelträger überall auf ihren Stationen von Menschen umringt und wie Helden gefeiert werden. Teilweise habe sich die Abfahrt bei einigen Stationen um mehr als 40 Minuten verzögert, da so viele Menschen um die Busse standen, um ein klein wenig etwas von den Fackelträgern zu erfahren.

Warum wir hier in London laufen dürfen

Das ist der Moment, an dem mir endgültig klar wird welche Chance und welches Glück man hat, wenn man die Olympische Fackel tragen darf. Es ist nicht einfach ein kleiner Ausflug, den man macht. Es ist nicht nur ein tolles Event zu dem man glücklicherweise eingeladen wurde. Das Fackeltragen ist eine große Ehre und ein einmaliges Erlebnis, das man wahrscheinlich nur einmal im Leben bekommt. Wenn überhaupt. Eigentlich darf es einen dann nicht verwundern, wenn da plötzlich Zweifler auftauchen und sich in ihren Blogs und Artikeln fragen, was denn nun eigentlich ausgerechnet Deutsche in die Lage versetzt, bei den Olympischen Spielen auf englischem Boden die Fackel tragen zu dürfen. Trotzdem schaffen es solche Menschen einem ein wenig Freude zu nehmen. Das LOCOG – das London Organisation Committee Olympic Games – hat uns alle final ausgewählt. Aus Deutschland sind viele verschiedene Menschen, mit verschiedenen Professionen und gänzlich unterschiedlichen Geschichten, die sie wiederum hierher nach England gebracht haben. Es ist schade, dass Zweifler in ihren Artikeln zwar unsere Namen nennen und uns in Verbindung mit Sponsoren bringen, gleichzeitig aber weder bei uns an- oder nachfragen, welche Geschichte unser Ticket nach Südengland war. Und so bleibt für mich der Beigeschmack, dass die Zweifler am Ende wahrscheinlich doch nur Neider sind.

Der Weg zum Hotel

Die Fahrt durch das südliche England ist nicht nur beschaulich, sondern richtiggehend schön. Erwähnenswert ist an dieser Stelle vielleicht, dass wir allerdings den ersten mehr oder weniger schönen Tag seit rund vier Wochen hatten. Ich bin mir sicher, hier hätte man sich nicht gewundert, dass die Tiere noch paarweise aufgetreten wären – so sehr muss es hier geregnet haben. Dass wir hier über viel Wasser sprechen, mussten wir später bei unserem Spaziergang durch den wunderschönen Ashwood Forrest erleben, in dem das sagenhafte Hotel gelegen ist. Lisa und ich versanken mehrfach im Schlamm, aus dem wir uns wie wahre Olympioniken wieder rauskämpfen mussten.

Das Hotel strahlt die Ruhe und die Abgeklärtheit von vielen Dekaden aus. Selbst wenn königlicher Glanz verblichen sein mag und das eine oder andere Fenster vielleicht einen kleinen Anstrich benötigen würde, so majestätisch fühlt man sich dennoch, wenn man in das große Zimmer tritt und die vielen Fenster für jede Menge Licht im Raum sorgen und einen tollen Blick auf die alten Gemäuer des Hauses freigeben. Der Geruch des alten Holzes ist überall präsent, stört aber nicht, sondern sorgt vielmehr für eine gewisse Ehrfurcht vor dem Alter und regt dazu an darüber nachzudenken, was diese Balken im Laufe der Jahrhunderte wohl schon alles gesehen oder gehört haben.

Davon, wie man sich als Fackelträger verhalten sollte

Höher, weiter, stärker. Die Olympische Maxime gilt für uns Fackelträger eher nicht. Dafür sind die meisten hier nicht sportlich genug. Wir Fackelträger nebmen aber eine nicht minder wichtige Rolle ein. Ich verstehe uns als Botschafter. Für unser Land. Aber auch für Werte, wie ein respektvolles Miteinander, Engagement im Gesellschaftlichen und für Freundschaft. Werte, die gerade in der Krise wichtig sein können.

Uns wird am abendlichen Briefing vermittelt, wie der Lauf vonstatten gehen wird und wir bekommen unsere Uniformen – weiße Anzüge auf denen in goldener Schrift „London 2012“ aufgedruckt ist. „You are now part of the Olympic family. And remember: You will always be a part of it“, so sagt man uns.

Engagement, Respekt. Freundschaft. Werte, die Fackelträger vermitteln sollen und offenbar auch bereits im echten Leben oft vermitteln. Ich fühle in mir, dass dies Dinge sind, die ich wirklich gerne überall in unseren Gesellschaften sehen und spüren wollen würde. Vielleicht klappt es ja wirklich und man kann aus einer kleinen Flamme, die man an einen anderen Läufer weitergibt, ein großes Feuer entzünden. Vielleicht schafft es der eine oder andere unter uns einigen Menschen ein wenig Licht zu spenden in Zeiten der Krise.

Ich wünsche es mir. Diese Gedanken nehme ich abends mit ins Bett – und schlafe nach einem langen Tag zufrieden ein.