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Dieser Post beginnt anders als geplant. Denn eigentlich hätte meine Zusammenfassung vom gestrigen Tage kommen sollen. Immerhin habe ich bereits sehr viel zu unseren wundervollen Erlebnissen in Brighton am gestrigen Tage geschrieben. Dass die vielen Zeilen nun keinen Einzug hier in meinen Blog finden, liegt schlicht und ergreifend an der Tatsache, dass heute nun der Fackellauf war. Alles was vorher war und heute noch passieren wird, würde nur von dem ablenken, was ich heute erleben durfte, und worauf ich mich jetzt konzentrieren möchte:
Nämlich auf eines der schönsten Erlebnisse in meinem Leben.
Der Wecker klingelt und läutet einen großen Tag ein
Als der Wecker heute am Morgen um 5.45 Uhr unsere Nacht beendet, läutet dieser auch gleichzeitig den großen Tag ein. Ich habe nicht so gut geschlafen. Das war zu erwarten. Immerhin habe gestern viele Gedanken mit ins Bett genommen und mir bereits vorgestellt, wie der Lauf – und vor allem das Drumherum – denn nun sein bzw. werden könnte.
Gut gelaunt werden wir in der Lobby des Hotels von den immer freundlichen Mitarbeitern von Samsung in Empfang genommen. Die Frühstücksbox, die man mir hinhält, lehne ich trotzdem dankend ab. Ich bin zum Essen einfach viel zu nervös.
Die Fahrt mit unserem kleinen Van nach Crawely dauert vom Hotel aus rund 30 Minuten. Dann sind wir an unserem Treffpunkt, einer großen hiesigen Sporthalle, angekommen. Sofort werden Benedict, ein anderer Fackelläufer, und ich vom Organisationskommittee in Empfang genommen, während unsere Frauen von anderen Begleitpersonen bereits zu unseren Startpunkten gebracht werden.
Die Dame vom Olympischen Orga-Team bringt uns zu den anderen Fackelläufern, die in Crawely laufen. Nach einem kurzen Check unserer Ausweise können wir uns alle untereinander austauschen und vor allem diejenigen kennenlernen von denen wir das Olympische Feuer erhalten bzw. weitergeben.
„Wir sind eine große Olympische Familie“
Mir schießen wieder die Worte durch den Kopf, die man uns am ersten Tag sagte: „Ihr seid nun Teil der Olympischen Familie“. Das familiäre Gefühl stellt sich noch wenigen Minuten bei uns allen ein. Alleine die Angst und Nervosität, die wir alle in uns tragen, verbindet uns. Gegenseitig sprechen wir uns Mut zu, erzählen unsere Geschichten, sprechen über englischen, französischen und deutschen Sport und über die großartigen Gefühle, die wir in uns tragen. Man klatscht sich ab, klopft sich auf die Schultern oder nimmt sich kurz in den Arm. Die Aufregung vergeht dadurch zwar nicht, das gute Gefühl der Zusammengehörigkeit macht aber all das gerade wett.
Die Einweisung vom Olympischen Organisationsteam ist kurz und knapp. Wir sollen lächeln, das sei das Wichtigste. Wie sollte man auch nicht lächeln können, in einem solchen Moment, frage ich mich. Wir haben das große, unverschämte Glück eine(r) von 8.000 Fackelträgern zu sein, es strahlt die Sonne über uns, obwohl es gestern noch große, dicke, kalte Tropfen vom Himmel regnete und gleich werden uns – wahrscheinlich – viele Menschen an den Straßen zuwinken. Wir werden dann, das beschließe ich in diesem Moment, versuchen so gut es auch nur geht einen Teil dieser großen Freude und des Glücks an die Menschen am Straßenrand weitergeben.
Ab in den Bus, auf dem Weg zum Startpunkt
Der Fackellauf ist ein perfekt durchorganisierter Event. Nur sehr wenige Dinge sind dem Zufall überlassen, wozu sicherlich das Wetter gehört. Als wir im „Partybus“ sitzen, wie unser Vehikel vom Orga-Team genannt wird, erzählt jeder von uns seine ganz persönliche Geschichte, die sie hierher gebracht hat. Jede Geschichte ist klar und einleuchtend. Einige davon sind auch herzzerreißend. Ich kann und möchte sie hier nicht wiedergeben. Eine persönliche Geschichte sollte auch persönlich erzählt werden.
Zur großen Aufregung mischt sich jetzt auch ein starkes, emotionales Gefühl dazu. Als wir losfahren schließe ich meine Augen und denke an das, was ich gerade gehört habe. Ich denke an meine Freunde, meine Familie und meine Frau, die hier gerade alle mitfiebern und bin dankbar all das erleben zu dürfen.
Es sind nur wenige hundert Meter, die wir fahren, bevor wir die ersten Menschenmassen sehen. Es sind viele hundert, die sich am ersten Startpunkt aufgestellt haben und auf die Ankunft der Flamme warten. Alles geht so schnell, als wir den Punkt erreichen. Die Türe öffnet sich und der erste Läufer verlässt mit seiner Fackel unseren Bus. Der Schall der vielen begeisterten Rufe dringt durch die offene Bustüre und lässt uns erahnen wie laut es gleich werden würde, wenn wir dann an der Reihe sein würden.
Unser Tross – vier Motorräder der Polizei, sowie ein Polizeiwagen, unser Bus, sowie drei Sponsor-Busse, auf denen getanzt und Stimmung gemacht wird – setzt sich wieder in Bewegung und bahnt eine schützende Schneise für unseren ersten Läufer, einen 17-jährigen Engländer. Dahinter fährt dann wiederum ein Bus, in den man nach erfolgtem Lauf einsteigt. Einer nach dem anderen würde dann wieder in den Bus kommen, sobald man seinen ganz eigenen „Moment to shine“ hinter sich gebracht hat.
Und jetzt geht es los – „My Personal Moment to Shine“
Ich bin als Dritter an der Reihe. Mein Herz schlägt, als ich in Richtung Bustüre gehe und von einem Mitglied des Organisationsteams die Fackel in die Hand gedrückt bekomme. Als ich aussteige werde ich begeistert begrüßt. Von Lisa, meiner Frau, und von vielen anderen Menschen aus Crawley, die extra gekommen waren. Ich schüttle Hände, ganz so, als wäre ich ein Politiker. Und es werden Bilder gemacht. Von der Fackel, von mir und mit vielen, vielen Menschen, die sich mit der Fackel und ihrem Träger ablichten lassen wollen. Ich springe von der linken zur rechten Straßenseite; und umgekehrt. Eine Polizistin auf einem Rad kommt zu mir und bittet mich kurz die Fackel prüfen zu dürfen, damit das Gas auch ungehindert strömen kann, sobald dies auch verlangt wird. Das bekannte Zischen von entweichendem Gas zeigt uns aber schnell, dass alles in Ordnung ist. So bleiben noch zwei, drei Minuten für weitere Bilder, obwohl der herannahende Tross schon zu sehen und vor allem zu hören ist.
Nach kurzer Zeit sehe ich ihn dann, den Fackelträger, der mir gleich das Feuer überreichen soll. Ich weiss nicht wieviel Zeit vergangen ist, seit man mich abgesetzt hat. Waren es fünf Minuten? Waren es zehn? Oder gar nur zwei. Jegliches Zeitgefühl ist mir von der Aufregung und der Woge der Begeisterung genommen worden. Dies fühlt sich wahrlich gut an. Zeit ist eben doch nur relativ. Ein beruhigendes Gefühl, in einer Zeit, in der man oft den Eindruck hat, Stunden wären Minuten und Minuten wären Sekunden.
Meine anfängliche Angst weicht der Vorfreude gleich die Olympische Flamme weit nach oben strecken zu können. So weit hoch, wie es auch nur immer geht. Als die Fackel eintrifft begrüßen Joe und ich uns so, wie wir es uns vorher überlegt hatten. Ich sehe das große Glück in seinen Augen, das er offenbar die letzten knapp 400 Meter auf seinem Weg mit der Flamme einsammeln konnte. Er strahlt, er leuchtet. Das Feuer wird an meine Fackel unter der Obhut seines Security-Beamten übergeben. Leider konnte ich mir seinen Namen nicht merken. Ich weiss nur noch, dass er sonst einer Londoner Spezialeinheit angehört. Zumindest wurde uns das im Vorfeld gesagt, als man uns damit offenbar wegen der jetzt überall herumstehenden Menschenmassen beruhigen wollte. Ich spüre aber gar keine Gefahr. Ganz im Gegenteil. Vielmehr ist es eine wahnsinnige Freude, die sich breit macht und auch noch Stunden nach dem Lauf überall zu spüren ist.
Joe hält seine Fackel an die meine und die Flamme springt nach kurzer Zeit über. Unsere Fackeln verschmelzen zu einem großen Feuer. Kein Moment könnte besser symobolisieren, warum wir alle Teil dieser Familie sind. Über viele tausend Kilometer wird das Feuer von einem Läufer zum Anderen gegeben – völlig gleich, wer oder was die Person ist, woher sie kommt, wie sie aussieht, ob arm oder reich, alt, jung, krank oder kerngesund. Jedes Mal, wenn die Flamme von einem Menschen zum Anderen gegeben wird, liegen sich diese zwei Personen in den Armen. Und das, obwohl sie sich erst vor kurzer Zeit kennengelernt haben.
Als wir unsere Fackeln auseinandernehmen, trennen sich unsere Feuer. Der Sicherheitsbeamte verschließt mit einem Schlüssel das Ventil von Joes Fackel. Ich strecke die Flamme, die jetzt hell und hoch über der Fackel steht, in den Himmel. Die Menschen jubeln der Flamme zu. Als ich mich langsam in Bewegung setze höre ich das laute Jubeln der Menschen. Es werden viele Fahnen geschwenkt. Ob es nun hunderte, oder gar tausende sind, kann ich kaum mehr realisieren. Für mich verschwimmt beim Laufen alles zu einem großen Farbenmeer, dessen laute Brandung die vielen Jubelrufe sind. Wenn ich meine rechte Hand von unten nach oben werfe, um zu zeigen, dass die Menge lauter jubeln soll, tut sie dies bereitwillig, ja sogar gerne.
Ich kann es kaum glauben, als ich wie zufällig Lisa, die nächste Läuferin, vor mir erblicke. Beinahe wäre ich an ihr vorbeigelaufen. Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass meine 300 Yards bereits zu Ende sind. Das waren doch höchstens 50, maximal 100 Yards und wenn es hoch kommt eine Minute, die ich gelaufen bin. Später muss ich mir sagen lassen, dass es gute fünf Minuten gedauert hat, bis ich meinen Weg zurückgelegt hatte. Zeit ist eben relativ. Leider!
Die Olympische Flamme – und was wir alle von ihr lernen können
Eigentlich will ich das Feuer festhalten und gar nicht mehr hergeben. Von ihm geht dieses unbeschreibliche Glücksgefühl aus, das in meiner Brust pocht und sich in jede Faser meines Körpers zieht. Ich habe Angst, dass gleich, wenn Lisa das Feuer für sich hat, meines in mir erlöschen könnte. Als meine Flamme kurz noch zuckt um dann endgültig auszugehen spüre ich kurz einen Anflug von Wehmut. Gott sei Dank werde ich aber gleich in den Bus geschoben, der auch die Anderen, bereits gelaufenen, in sich trägt. Es gibt einen großen Applaus und Umarmungen und ich stelle fest: Der Glücksmoment, dieses eben beschriebene Gefühl – es ist noch immer da, obwohl das Feuer bereits weit vor mir von jemandem Anderen getragen wird und diese Person mit großer Wahrscheinlichkeit die selben Gefühle haben dürfte, die ich bei meinem Lauf hatte.
Meine Fackel steht im Bus im Behälter mit der Nummer 16 – meiner Startnummer des Tages. Für jeden Fackelträger gibt es einen Ort für seine persönliche Fackel, die man dann nach Hause nehmen kann, sofern man sie gekauft hat. Selbstredend lässt sich diese Möglichkeit niemand entgehen. Glück kann man manchmal eben doch kaufen.
Aus dem Bus heraus winken wir den vielen Menschen immer noch zu. Die Begeisterung für Olympia und die Flamme – sie scheint in Großbritannien gerade grenzenlos zu sein. Überall gibt es lachende Gesichter, fröhliche Menschen, die da winken, jubeln, feiern. Überhaupt sind wir in den Tagen nur von fröhlichen, netten Menschen – selbst dann, wenn wir völlig inkognito unterwegs sind und so keiner ahnen kann, dass wir etwas mit Olympia zu tun haben. Da fragt man sich doch: Wo sind denn jetzt all die pöbelnden, immer betrunkenen Engländer aus den Urlaubs-Horror-Geschichten, die wir jedes aufgetischt bekommen? Bestimmt hätten wir irgendwo welchen gefunden, wenn wir gesucht hätten. So, wie man hierzulande auch Deutsche findet, die sich nicht zu benehmen wissen. Pauschalurlauber und Fussball-Ausnahme-Fans, sowie Menschen, mit einem sehr eingeschränkten Blickwinkel, die gibt es überall. Sie haben aber nichts mit dem Großteil einer Bevölkerung zu tun.
Ganz bestimmt hat die Olympische Flamme in England aber auch die Stimmung im Land während eines völlig verregneten Sommers ein wenig aufhellen können. Dieses Phänomen haben wir Deutschen auch schon während der Fussball-WM 2006 hier in Deutschland erleben dürfen. Der Olympische Funke scheint auf die Menschen überspringen zu können, während wir Fackelträger die Flamme durch die Straßen dieses Landes tragen und ein Stück unseres inneren Glücks mit den Menschen teilen. „Wir haben heute trockenen Regen“, sagt später unsere englische Fremdenführerin zu uns und meint ihre Worte völlig ernst.
„Trockenen Regen?“, denke ich mir und wische mir einige Tropfen aus meinem Gesicht, die meine Wange herunterfließen. Vielleicht – oder gar sehr wahrscheinlich – hat hier das Olympische Feuer schon gewirkt! Melissa, so heißt die Fremdenführerin nämlich, hat Feuer gefangen. So scheint für sie schon die Sonne jeden Tag ein bißchen heller, das Glas ist ein wenig voller als sonst. Und der Regen ist eben nun nicht mehr nass, sondern trocken.
Leben ist das, was man für sich daraus macht.
Selbst heute, mehr als 24 Stunden nach meinem Lauf, wirkt mein „Moment to shine“ noch in mir nach. Ich sehe mir gerade Bilder an, die ich in diesen Blogbeitrag packen möchte. Ich bekomme Gänsehaut dabei. Immer noch. Und wahrscheinlich wird es auch morgen und übermorgen noch so sein. Dicke Wolken liegen über Berlin. Es regnet. Während ich nach draußen blicke, reißt plötzlich die Wolkendecke auf und die Sonne blinzelt durch.
„Trockener Regen“, denke ich mir. Ich lächle zufrieden. Danke Olympia. Danke England. Das wird ein gutes Jahr.